Zusammenfassung: Bahnwärter Thiel (Gerhart Hauptmann)
Autor: Gerhart Hauptmann (1862 - 1946)Originaltitel: Bahnwärter Thiel
Veröffentlichung: 1888
Textsorte: Novelle
Textgattung: Epik
Literaturepoche: Naturalismus
Inhaltsangabe:
Gerhard Hauptmanns Novelle „Bahnwärter Thiel“ wurde im Jahr 1888 veröffentlicht und gilt als eines der wichtigsten Werke des deutschsprachigen Naturalismus.
Im Zentrum der Handlung steht der gewissenhafte Thiel, der nach dem Tod seiner ersten Frau und des Sohnes aus dieser Ehe seinen Schmerz nicht überwinden kann und zum Kinder- und Frauenmörder
wird. Auf realistische und detaillierte Weise beschreibt Hauptmann in diesem Werk die sexuelle Abhängigkeit des Mannes, die letztendlich dazu führt, dass mehrere Menschen sterben müssen. Der
verwirrte und handlungsunfähige Bahnwärter ist ein typischer Anti-Held des Naturalismus, der seiner Triebhaftigkeit nicht Herr werden kann und als Arbeiter im industriellen Zeitalter des 19.
Jahrhunderts ein karges, monotones und tristes Leben führt. Hauptmann legt einen großen Teil des Geschehens in ein Wärterhäuschen an einer Bahnstrecke und beschreibt die vorbeifahrenden Züge
einerseits als Symbol für Zerstörung, Tod und Leid im Leben des Protagonisten, andererseits als Inbegriff und Resultat des Industrialismus, der hauptverantwortlich ist für die sozialen
Probleme und das Elend des Proletariats des 19. und frühen 20. Jahrhunderts. Den Bahnwärter zeigt der Schriftsteller als ein typisches Produkt seines Milieus, stellt ihn jedoch auch als
romantischen, verträumten Menschen dar, dessen Leid und daraus resultierende Verbrechen der Leser nachempfinden und verstehen kann.
Bahnwärter Thiel ist ein ruhiger, besonnener und gewissenhafter Mensch, der in einem Wärterhäuschen seinen Beruf ausübt und den Zugverkehr zwischen Berlin und Frankfurt regelt. Als
Minna, seine junge Ehefrau bei der Geburt des ersten Kindes stirbt, bricht für Thiel eine Welt zusammen. Etwa ein Jahr nach ihrem Tod begegnet Thiel der jungen Lene. In der derben ehemaligen
Kuhmagd glaubt Thiel, eine Ersatzmutter für seinen geliebten Sohn Tobias gefunden zu haben. Ohne Liebe für die Frau zu empfinden, heiratet er Lene, obwohl er Minna nicht vergessen kann. Lene
entpuppt sich als eine herrschsüchtige Frau, die dem kleinen Tobias in keiner Weise eine Mutter sein will. Als sie schwanger wird und ein Kind zur Welt bringt, vernachlässigt sie Tobias immer
mehr und wird ihm auch gegenüber handgreiflich. Obwohl Thiel realisiert, dass er in Lene eine falsche Wahl getroffen hat und sein geliebter kleiner Sohn von dieser Frau erniedrigt
und misshandelt wird, kann er sich der Autorität Lenes nicht entziehen. Da er nicht nur psychisch, sondern auch in einem hohen Maße sexuell von ihr abhängig ist, kann er Tobias kein
beschützender Vater sein.
Thiel ist sich seines Unvermögens, auf das Kind aufzupassen, durchaus bewusst und fühlt immer stärker das schlechte Gewissen seiner toten Frau gegenüber. Statt tätig zu werden,
flüchtet sich der verzweifelte Bahnwärter in eine Fantasiewelt, in der er, isoliert in seinem kleinen Wärterhäuschen mit seiner toten Frau Minna kommuniziert, die ihm in Visionen
erscheint.
Als ihm in der Nähe seines Arbeitsplatzes ein Stück Land geschenkt wird, schmiedet Lene sofort Pläne, dort Kartoffeln anzupflanzen. Wieder kann sich Thiel, der an seinem Arbeitsort
nicht gestört werden will, nicht dem Willen der Frau entziehen, die bald mit dem Säugling und Tobias dort auftaucht. Thiel und Tobias brechen auf, um die Umgebung zu erkunden und
führen ein liebevolles Vater-Sohn-Gespräch, das Thiel mit Stolz erfüllt.
Als Thiel wieder in seinen Dienst zurückkehren muss, bittet er Lene, auf den kleinen Sohn in der Nähe der Gleise besonders gut aufzupassen. Wenig später kommt es zur Vollbremsung
eines Zuges und Thiel sieht bald, dass Tobias angefahren wurde und schwer verletzt ist. Der Junge wird mit Lene auf die nächste Krankenstation transportiert und Thiel ist rasend vor
Wut, da er seiner Frau die Schuld an dem Unfall gibt. In einer Vision, in der ihm Minna erscheint, schwört er ihr, an Lene Rache zu nehmen. Als der Säugling, den die Frau bei ihm
zurückließ, zu schreien beginnt, würgt Thiel diesen, wird jedoch von einem herannahenden Zug unterbrochen.
Thiel erfährt wenig später von dem Tod seines Sohnes und fällt vor Verzweiflung in Ohnmacht. Zu Hause angekommen, versorgt Lene ihren Mann liebevoll und legt sich später selbst hin,
um sich etwas auszuruhen. Als die Bahnarbeiter die Leiche des Jungen in Thiels Haus bringen, finden sie die erschlagene Lene und den toten Säugling mit durchgeschnittener Kehle vor.