Biedermeier | 1815 - 1848 | Literaturepoche
Der Begriff Biedermeier beschreibt eine Strömung, die einige Jahre nach dem Wiener Kongress von 1815 einsetzte, mit der großen Revolution von 1848 endete und die Gesellschaft, Kunst und Literatur gleichermaßen prägte. Die Bezeichnung der Epoche entstand erst nachträglich etwa 1900 und leitet sich von der fiktiven Figur Gotthold Biedermeiers, des Protagonisten einer Parodie auf die Spießbürger jener Zeit ab. Gotthold Biedermeier, der fiktive Schulmeister, der sich mit dem kleinen irdischen Glück seines beschaulichen Lebens mit Gärtchen und kleiner Stube zufriedengibt, beschrieb treffend die gesellschaftliche Einstellung der deutschen Bürger der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts und wurde daher Namensgeber der Epoche. Demaskierte der Begriff „Biedermeier“ um die Wende des 18. und 19. Jahrhunderts noch spöttisch und abwertend die behäbige Kleinkariertheit des Bürgertums, setzte er sich allmählich als durchaus positiv konnotierte Definition des einfachen, aber dennoch von Glück geprägten häuslichen Familienlebens durch. Die Schriftsteller der Biedermeierzeit traten wie die Romantiker nicht durch ihr politisches Engagement in den Vordergrund, sondern durch die Darstellung einer heilen, von den Wirren der Zeit weit entfernten Welt, die der bürgerlichen Gemütlichkeit voll entsprach.Historischer Kontext des Biedermeiers
Der Wiener Kongress im Jahr 1815 regelte die territoriale Verteilung Europas komplett neu und führte zu großen Konflikten der herrschenden deutschen Fürsten und dem intellektuellen „Jungen Deutschland“, jenen Studenten, die sich für eine politische Einigung und Freiheit des Landes engagierten und sich in Burschenschaften zusammenschlossen. Auf diese politischen Wirren und Restaurationsbestrebungen reagierten die Bürger mit einer Sehnsucht nach der „guten alten Zeit“, in der Gemütlichkeit und beschauliches Glück dominierten. Die Künstler und Literaten standen den revolutionären politischen Ideen der jungen Studenten zwar misstrauisch gegenüber, waren jedoch trotzdem nicht mit der politischen Entwicklung des Metternich-Deutschlands einverstanden. Die strenge Zensur, die der Polizeistaat Metternichs mit den Karlsbader Beschlüssen im Jahr 1819 mit sich brachte, führte zu einem Verbot der Burschenschaften und der Veröffentlichung jeglicher politischer Schriften. Viele Schriftsteller reagierten auf diese Verhältnisse nicht mit einem philosophischen und literarischen Protest, sondern mit der Darstellung vermeintlich idyllischer Szenen und Geschichten. Die Biedermeier-Literatur ging zwar als Inbegriff der Thematisierung spießiger Weltanschauungen und Sittlichkeit in die Geschichte ein, brachte jedoch einige wichtige Schriftsteller und Werke hervor, die sich unter der scheinbar harmonischen Oberfläche auf dezente Weise mit den Missständen und politischen Enttäuschungen auseinandersetzten. Mit der Märzrevolution im Jahr 1848 endete die Biedermeierzeit mehr oder weniger abrupt.
Themen und Stilelemente des literarischen Biedermeiers
Die Schriftsteller reagierten auf die konfliktgeladenen Jahre und das tyrannische Metternich-Regime mit der Darstellung einer poetischen und harmonischen Welt. So wie auch die Romantiker bedienten sich die Dichter des Biedermeiers einer einfachen und schlichten Sprache der Volkslieder, einer klaren lyrischen Form und einer detailgetreuen Darstellung und Bildhaftigkeit. Im Gegensatz zu den Romantikern wählten die Dichter des Biedermeiers jedoch Themen mit einer idealisierten Haltung zur häuslichen Ordnung, Sittlichkeit, Bescheidenheit, Zähmung von leidenschaftlichen Impulsen und einer gemäßigten politischen Haltung. Den Werken lag die Botschaft zugrunde, dass Pietismus und die Akzeptanz des eigenen Schicksals zu innerem Frieden führen sollten. Trotzdem oder gerade deshalb finden sich in der Literatur dieser Epoche auch vermehrt Gefühle wie unerfüllte Sehnsucht, Weltschmerz, Verzweiflung und Schwermut, die aus den gesellschaftlichen Ansprüchen der Entsagung resultierten. Die bevorzugten Gattungen waren kurze literarische Formen wie die Novelle, die Kurzgeschichte, die Volkserzählung sowie detaillierte Naturstudien, welche das seelische Leid der Menschen und das Motiv der Vergänglichkeit verdeutlichten. Die Skizze als absichtlich unausgestalteter Text gewann immer mehr an Popularität. Neben einfachen Gedichtzyklen wurde die Lyrik des Biedermeiers auch durch die Form der Ballade maßgeblich geprägt. Wie die Epik und Lyrik stellte die Theaterliteratur dieser Zeit keine offensichtlich politischen oder gesellschaftskritischen Ansprüche, sondern beschränkte sich auf große Tragödien, Zauberstücke, Komödien und Volkspossen.
Vertreter und bedeutende Werke des Biedermeiers
Als der wichtigste Vertreter des lyrischen und epischen Werkes des Biedermeiers gilt Eduard Mörike, der mit Erzählungen wie „Der Bauer und sein Sohn“, Novellen wie „Mozart auf der Reise nach Prag“ und „Maler Nolten“ oder dem Märchen „Das Stuttgarter Hutzelmännchen“ zwar offensichtlich unspektakuläre und belanglose Inhalte schuf, aber dennoch mit einer starken Ironie die geistigen Strömungen seiner Zeit kommentierte. Seine rhythmischen und formal vollendeten Gedichte und Balladen wie „Der Feuerreiter“, „Die Geister am Mummelsee“ oder „Verborgenheit“ thematisierten auf treffende Weise die Flucht in die Harmonie und machten Mörike zu einem der bedeutendsten Lyriker der deutschen Literaturgeschichte. Historiker sehen in der Epoche des Biedermeiers die Anfänge des Antisemitismus in Deutschland, der schließlich im Rassismus der Nationalsozialisten im 20. Jahrhundert gipfelte. In einem der wichtigsten Werke des Biedermeiers, der Erzählung „Die Judenbuche. Ein Sittengemälde aus dem gebirgichten Westfalen“ griff die Schriftstellerin Annette von Droste-Hülshoff die Problematik des aufkommenden Judenhasses auf und schuf ein Portrait der deprivierten und verzweifelten Landbevölkerung ihrer Zeit. Mit der dichten Darstellung der Lebensumstände vor der atmosphärischen Naturkulisse nahm sie bereits wichtige inhaltliche Elemente des Realismus und des Naturalismus vorweg. Droste-Hülshoff wurde auch für ihr lyrisches Werk bekannt, das unter anderem die Gedichtsammlungen „Haidebilder“ mit der berühmten Ballade „Der Knabe im Moor“ beinhaltet.
Adalbert Stifter schuf in der Zeit des Biedermeiers ebenfalls einige bedeutende literarische Studien, die die Seelenlandschaften der sittlichen Bürger widerspiegelten und die unberührte Natur zum Zeugen der menschlichen Schicksale erhob. Zu Stifters wichtigsten Werken zählen vor allem die Novellenbände „Studien“ und „Bunte Steine“ sowie der Roman „Der Nachsommer“. Ein weiteres Meisterwerk des Biedermeiers wurde die Novelle „Die schwarze Spinne“ von Jeremias Gotthelf, die die gesellschaftlichen Sünden einer Dorfgemeinschaft behandelt und wie "Die Judenbuche" als symbolstarkes Gleichnis zwischen Gut und Böse verstanden werden kann.
Die drei bekanntesten Dramatiker der Epoche des Biedermeiers wurden die Österreicher Johann Nestroy, Franz Grillparzer und Ferdinand Raimund. Während Raimund mit seinen Zaubermärchen und Possen wie „Der Verschwender“, „Der Alpenkönig und der Menschenfeind“, „Der Bauer als Millionär“, „Der Barometermacher auf der Zauberinsel“ oder „Die gefesselte Phantasie“ der vom Barock geprägten Volkstradition seiner Geburtsstadt Wien verhaftet blieb, dabei jedoch vollendete Stücke über die Besserung des menschlichen Charakters schuf, wandte sich Johann Nestroy mit Komödien wie „Lumpazivagabundus“, „Einen Jux will er sich machen“ oder „Der Zerrissene“ dem sozialkritischen Lustspiel zu. Grillparzer hingegen wurde mit Tragödien über den menschlichen Weltschmerz, Selbstzweifel, die Reinheit des Herzens und die innerliche Ruhe und Idylle zu einem der bedeutendsten Dichter Österreichs. Vor allem seine großen Dramen „König Ottokars Glück und Ende“. „Die Jüdin von Toledo“, „Das goldene Vlies“, „Bruderzwist im Hause Habsburg“ und „Ein treuer Diener seines Herrn“, die er ganz in der Tradition des Burgtheaters schuf, machten ihn zu einem der wichtigsten Theaterautoren, den die Epoche des Biedermeiers hervorbrachte. Auch der deutsche Dramatiker Christian Dietrich Grabbe, der in seiner nihilistischen Weltauffassung das ganze menschliche Dasein als ein einziges Lustspiel betrachtete, produzierte in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts einige wichtige Theaterstücke wie die Tragödien „Herzog Theodor von Gothland“ und „Napoleon oder Die hundert Tage“ sowie das Ideendrama „Don Juan und Faust“.