Weimarer Klassik | 1786-1805 | Literaturepoche
Die Weimarer Klassik bezeichnet eine Literaturströmung, die mit Johann Wolfgang von Goethes zweijährigem Aufenthalt in Italien in den Jahren 1786/88 einsetzt und mit Friedrich Schillers Tod im Jahr 1805 endet. Diese kurze Epoche wurde geprägt von einer intensiven Zusammenarbeit Goethes und Schillers in der Residenzstadt Weimar und brachte eine Reihe von bedeutenden Bühnenwerken hervor, die nach den Gesichtspunkten der aristotelischen Poetik verfasst wurden und den edlen, von Humanität und innerer Harmonie geprägten Idealmenschen in den Mittelpunkt stellten.Historischer Kontext der Weimarer Klassik
Die Französische Revolution des Jahres 1789 hatte zwar mit ihren Idealen „Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit“ neue Hoffnung auf deutschem Boden geweckt, konnte den gesellschaftspolitischen Erwartungen der Menschen jedoch auf lange Sicht nicht gerecht werden. Politische Instabilität, die Herrschaft der Jakobiner und die Umstrukturierung der Gesellschaft durch Bildungs- und Heeresreformen, Bauernbefreiung und Selbstverwaltung der preußischen Städte führten zu einem dauernden Gefühl der Unsicherheit. Nach Jahren der militärischen Auseinandersetzungen wurde Napoleon in der Schlacht von Waterloo vernichtend geschlagen und die Verteilung der Territorien Europas noch im selben Jahr im Zuge des Wiener Kongresses neu geregelt.
Für die Schriftsteller der Weimarer Klassik bedeutete sowohl das Scheitern der gesellschaftspolitischen Hoffnungen der Französischen Revolution, als auch der Sturm-und-Drang-Literatur in der Umsetzung dieser Leitideen einen wichtigen Ansporn, durch die intensive Auseinandersetzung mit den antiken Kunstströmungen neue, von inhaltlicher und formaler Harmonie geprägte Werke zu schaffen. Beeinflusst durch die philosophischen Forderungen Immanuel Kants nach bürgerlicher Vernunft, Eigenbestimmung und Sittlichkeit sowie einer reinen, durch das Genie geschaffenen Kunst, begannen die Dichter, in ihren schriftstellerischen Arbeiten nach Vollendung, Darstellung von Harmonie und Gerechtigkeit sowie dem ganzheitlichen Erfassen vom Wesen der Menschen und Dinge zu streben. Auch die steigende Popularität der Reiseliteratur und die Schriften des frühaufklärerischen Archäologen Johann Joachim Winckelmann über die reine Ästhetik der römischen und griechischen Bildhauerkunst und Malerei, deren stille Größe und edle Einfalt er lobte, prägten das Gedankengut der Dichter der Weimarer Klassik nachhaltig.
Inhaltliche und formale Merkmale der Weimarer Klassik
Die Schriftsteller sahen es nun als ihre Hauptaufgabe, die Bürger durch ihre an den Vorbildern der Antike orientierte Literatur geistig zu erziehen und ihnen die Kraft der ästhetisch einfach gehaltenen Schönheitsideale zu vermitteln. Damit richteten sich die Dichter einerseits gegen den nüchternen Rationalismus der Aufklärung, andererseits gegen die subjektive, teilweise sogar egoistische Darstellung des Sturm und Drang und die morallose Universaldichtung der Romantiker. Stattdessen dominierten in den Werken der Weimarer Klassik große und edle Charaktere jenseits der Wirklichkeit des Alltags und symbolträchtige Gegenstände und Geschichten, die eine grundsätzliche, auf das Leben aller Menschen übertragbare Bedeutung aufwiesen. Wichtige Themen der Weimarer Klassik waren Freiheit und Selbstbestimmung des Menschen, das Individuum und sein Verhältnis zum Schicksal, Humanität und die Stellung des Genies innerhalb der Gesellschaft. Die Handlungen, die diese Inhalte transportierten, wurden mit historischen oder der griechischen Mythologie entlehnten Stoffen versehen und sollten dem Leser den Stellenwert von Maß, Bändigung und eines ausgeglichenen Verhältnisses von Sinnlichkeit und gesetzestreuer Vernunft vermitteln. Nach dem Vorbild antiker Darstellungen waren die handelnden Figuren der Werke von Menschlichkeit, innerer Schönheit, pflichtgemäßem Handeln, Toleranz, Tugend und Wahrheitssinn gekennzeichnet und als Modellcharaktere stilisiert.
Um die innere Harmonie des Individuums als Grundvoraussetzung einer funktionierenden Gesellschaft hervorzuheben, wählten die Dichter Literaturgattungen, deren Form sie nach strengen Vorgaben ausarbeiten konnten. So wurde das aus fünf Akten oder Aufzügen bestehende Drama mit den drei Einheiten Handlung, Zeit und Raum gemäß der aristotelischen Poetik die bevorzugte Literaturgattung der Weimarer Klassik. Nach dem Muster der antiken Tragödie wurden die Dramatis Personae der Ideen- und Charakterdramen der Weimarer Klassik auf einen kleinen Figurenkreis beschränkt, sprachen meist in Vermaß und formulierten allgemeingültige Aussagen auf hohem sprachlichen Niveau. Besonderen Wert legten die Dichter auch auf einen bewussten Verzicht von realistischen Details und die Verwendung von historischen Motiven und Gegebenheiten, um ihre moralischen Handlungen über jeglichen Einfluss der Zeit zu heben. Diese stilistischen und inhaltlichen Anforderungen setzten sie auch in Bildungsromanen sowie Balladen, Oden und Hymnen mit festgelegten Strophenformen, Längen, Versmaßen und Reimen um.
Vertreter und Werke der Weimarer Klassik
Nachdem Goethe durch seinen Briefroman „Die Leiden des jungen Werther“ neben Schiller zum wichtigsten Schriftsteller des Sturm und Drang avanciert und im Jahr 1775 nach Weimar übersiedelt war, begann er aufgrund der unbefriedigenden politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse allmählich, sich den Idealen der Antike zuzuwenden und diese sowohl inhaltlich als auch formal in seinen Werken zu verarbeiten. Im Jahr 1786 reiste er nach Italien, wo er fast zwei Jahre verweilte, um sich mit der antiken römischen Kultur und der Lebensweise der Menschen dieses Landes weiter vertraut zu machen. Nach seiner Rückkehr nach Weimar lernte er Friedrich Schiller persönlich kennen, und die beiden Dichter nahmen nach anfänglichen Ressentiments und Konkurrenzdenken einen freundschaftlichen Briefwechsel auf, der von Literaturhistorikern heute weitgehend als der Beginn der Weimarer Klassik definiert wird. Die briefliche Korrespondenz zwischen Goethe und Schiller führte zu einem intensiven künstlerischen Austausch und Ansporn und ist maßgeblich für die Entstehung der wichtigsten Werke der Weimarer Klassik verantwortlich.
Goethe fasste die im Zuge seiner Italienreise gesammelten Erfahrungen und seine Gedanken über eine neue Literatur in seiner theoretischen Schrift „Einfache Nachahmung der Natur, Manier und Stil“ aus dem Jahr 1789 zusammen, in der er den Stil als wesentliches Element zur Erfassung des Wesens der Dinge über literarische Nachahmung und die Darstellung individueller Sichtweisen stellte. Auch Schiller formulierte Ideen zur Aufgabe und Funktion der Literatur der Weimarer Klassik, die er in den Briefen „Über die ästhetische Erziehung des Menschen“ niederschrieb. Nach dem Scheitern der Französischen Revolution erklärte Schiller in seinen theoretischen Schriften die innere Harmonie aller Menschen zur Grundvoraussetzung möglicher gesellschaftspolitischer Veränderungen.
Die Ideale von Humanität, Toleranz und edlem Charakter fanden in den großen Dramen der beiden Schriftsteller ihre künstlerische Darstellung. Zu den wichtigsten Bühnenwerken der Weimarer Klassik gehören Friedrich Schillers „Wallenstein“, „Wilhelm Tell“, „Don Karlos, Infant von Spanien“, „Die Braut von Messina“, „Die Jungfrau von Orleans“ und „Maria Stuart“ sowie Goethes „Iphigenie auf Tauris“, „Torquato Tasso“ und „Egmont“.
Die bedeutendsten lyrischen Werke der Weimarer Klassik entstanden weitgehend ab 1797, dem sogenannten „Balladenjahr“, in dem Goethe und Schiller diese Literaturgattung zu einem ästhetischen Experiment im Sinne der Künstlichkeit des Dargestellten erhoben. Als Resultat dieser Auseinandersetzung entstanden Goethes Idylle „Hermann und Dorothea“, Gedichtsammlung „Xenien“ und Balladen „Der Zauberlehrling“ und „Die Braut von Korinth" sowie Schillers lyrische Werke “Der Kampf mit dem Drachen“, „Die Bürgschaft“, „Der Ring des Polykrates“, „Ritter Toggenburg“, „Der Handschuh“ und „Der Taucher“. Als bedeutendster Bildungsroman der Epoche gilt Goethes im Jahr 1795 erschienenes Werk „Wilhelm Meisters Lehrjahre“. In Weimar standen auch die Schriftsteller Johann Gottfried Herder und Christoph Martin Wieland in engem Kontakt und regem künstlerischen Austausch mit Goethe und Schiller. Daher werden einige ihrer Werke, vor allem Wielands Roman „Die Geschichte der Abderiten“, sein Versepos „Oberon“ und die Märchengedichtsammlung „Dschinnistan“ sowie Herders philosophische und kritische Schriften zur Epoche der deutschen Klassik gezählt.